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Stories

Mit Zitronen gehandelt

1/29/2025
RL
Roland Löwisch
5 minutes

Schlimmer geht’s nimmer: Jährlich treffen sich in einem Park in Seaside die übelsten, ungeliebtesten und verrostetsten Autos Kaliforniens – das Concours d’Lemons ist ein herrliches Contra-Event zum edlen Defilee in Pebble Beach.

Roland Löwisch

Juror müsste man sein. Zumindest beim Concours d’Lemons in Seaside, Kalifornien. Da darf man sich nämlich offiziell bestechen lassen – naja, eher selten sind Dollars, aber Kuchen, Süßigkeiten oder gar Würstchen gibt’s durchaus. Dafür muss man allerdings Einiges in Kauf nehmen wie Rostbeulen durch die braune Pest, Augenkrebs durch Designkatastrophen, virtuelle Kolibakterien wegen rollender – Verzeihung – Kackhaufen und Flohbefall aufgrund von Fellkarosserien.

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Fett – aber darf man das noch „VW“-Bus nennen? Egal – hier ist willkommen, was auffällt.

© Roland Löwisch


Zu gewinnen gibts Blödsinn
Willkommen bei dem wohl schwarzhumorigsten Autoevent Amerikas, nur ein paar Meilen entfernt von den fast zeitgleich stattfindenden Edelevents „A Motor Gathering at The Quail“ und Concours d’Elegance in Pebble Beach. Während dort die teuersten, glänzendsten und gefragtesten Klassiker sowie die heißesten Hypercars präsentiert werden, darf in den Park an der Seaside City Hall jeder kommen, dessen Auto entweder fast auseinanderfällt, der sein Vehikel grundhässlich findet oder der sein Gefährt einfach nur abgrundtief hasst, aus welchen Gründen auch immer. Wer sich dann noch eine besondere Form der Präsentation einfallen lässt, hat gute Chancen, irgendeinen Blödsinn zu gewinnen.
Denn am Ende des Tages werden von den Organisatoren Preise in diversen Kategorien vergeben – auch unter länderspezifischen Titeln, wobei gerne mal ein holländischer DAF als schwedischer Köttbullar durchgeht. Da gibt’s dann zum Beispiel einen Feuerlöscher, wobei doch die meisten Aussteller es gerne sehen würden, wenn ihr Vehikel versicherungskonform abfackeln würde.
Den Top-Preis „Worst of Show” aber sackt natürlich ein US-Auto ein: Ein an sich schon gruseliges 75er Lincoln Continental Coupé namens „Buttercup“. Das ist vollverkleidet mit irgendeinem Ein-Dollar-für-den-Squaremeter-Fell, auf dem Dach thront ein halber Gaul. Eigner Chris Overzet hat mit diesem ungezieferverdächtigen Bettvorleger auch schon das Lemons-24-Stunden-Rennen gewonnen. Ja, sowas gibt’s auch noch…
„Buttercup“ siegt souverän
Aber bleiben wir erstmal bei amerikanischen Zitronen, zwischen denen aus unserer Sicht auch ein paar durchaus schmackhafte Orangen sind – wie ein Bricklin in passablem Zustand, ein glänzend grüner Ford Edsel von 1958, der einst zu den ersten Presseautos gehörte und unter anderem aufgrund der Form seines Kühlergrills zu einem der größten US-Designdesaster geriet, weil prüde Neuweltler dort eine Vagina entdecken wollten. Völlig aus dem Rahmen fällt ein glänzender Cadillac Eldorado von 1970. Das auffällige Auto mit dem Namenszusatz „del Cavallero“ ist einer von 13 Custom-Eldorado, die niemand anders als der große George Barris verschlimmbessert hat. Und es ist nur eines von zwei Exemplaren mit „Superfly“-Scheinwerfern und der Einzige mit einem Ersatzrad im Kofferraumdeckel. Allein das Lenkrad mit seinen Speichen aus dem Cadillac-Logo ist so hässlich, dass man befürchten muss, nur vom Anfassen Pickel zu bekommen. Grund genug für den Sieg in der Klasse „Pimpen muss man können“. Weitere Beispiele sind die Corvette Stingray als Shooting Brake, der AMC Pacer ist ein bekannter Dauergast bei solchen Versammlungen. Ein 85er Grumman Olson Kubvan gehört hier allein schon wegen seines Namens hin, und irgendwer hat einen armen Lincoln Premiere in ein rosa Lackbad getaucht und die obendrauf thronende Dame gleich mit. Und überhaupt: Eigentlich gehören alle Aussteller in den Dodge Maxivan, der deutlich gekennzeichnet ist als Gefangenentransporter in Sachen „Lemons County Corrections“.
Darin würde übrigens die Tochter von Robert Peterson aus Salinas ihren Papa auch gerne sehen. Denn der bringt sie immer im Geo Metro, Baujahr 1988, in die Schule – und sie h a s s t das Auto aus tiefstem Darm. Der Herr Papa hat allerdings mit Kackhaufen keine Berührungsängste. Sein Hut ist ein Kackhaufen, auf seinem Hemd sind lauter Kackhaufen, auf seinem ausgestellten Kleinwagen sitzt ebenfalls ein Kackhaufen. Und alle grinsen. Außer der Tochter.

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Sieger aller Klassen als „worst car“ des diesjährigen Concours: Ein befelltes Linclon Continental Coupe von 1975.

© Roland Löwisch


„Slow Ass Bus“ als Hingucker
Schauen wir ins Ausland: Die Italiener sind mit einem völlig durchrosteten Fiat 124 vertreten, den ein giftiger Mix aus Klebstoff und Spachtelmasse zusammenhalten dürfte. England ist unter anderem mit Land Rover Series III, Triumph TR3, Jaguar XJS und MGB dabei, Frankreich mit zwei Traction Avant von 1954 („Caution: French Car with British Electrics“) und einem der anfälligen Facel-Vega, der immerhin optisch noch Einiges hergibt. Den Franzosen-Preis aber sahnt ein in Spanien gebauter New Map Solyto von 1955 ab, ein dreirädriger Lieferwagen mit der Anmutung einer dreibeinigen Wanze. Aus Japan sind ein Datsun Bluebird, ein Subaru 360 von 1969 und ein völlig verrotteter 69er Toyota Corolla mit Zulassungsschild hinter (!) dem Restgrill zugegen, aus Schweden besagter DAF 33 – wie gesagt, Augen zudrücken gehört hier zur Besichtigung.
Haben wir noch etwas vergessen? Ach ja, die Deutschen. Den Länderpreis sichert sich ein Porsche 928, wobei nicht ganz klar wird, was so schrecklich ist an dem Auto außer dem Gummizebra auf dem Dach. Ein Karmann Ghia ist zugegen, ein Mercedes W123 als „240 DD El Turbo“ ist zu finden, ganz abgesehen von diversen Käfern, von denen einer augenscheinlich nur noch von Draht zusammengehalten wird. Diese teutonische Armada toppt ein völlig abgerocktes Porsche 911 Cabrio aus dem Jahr 1977, das der Eigner mit einer ausgetrockneten Biberratte (o.ä.) verziert hat. Und dann gibt’s natürlich noch die erkleckliche Anzahl von T1- und T2-Bullis: Einer besteht eigentlich nur noch aus der Front, der Rest ist ein unförmiges Offroad-Monstrum („Slow Ass Bus“). Ein anderer ist der knallkurzgehaltene Bulli von Bill Hill mit dem Kennzeichen „2Short 1“. Mr. Hill beglückt Juroren wie Kinder gleichermaßen, indem er durch den Auspuff gegrillte Würstchen verschenkt. Ferngesteuert speit das mittlere Endrohr von insgesamt dreien Feuer und trifft ein paar Wiener, die chancenlos davor aufgespießt sind.
Man glaubt es kaum, aber geschätzte 95 Prozent der Exponate rollen selbstständig in diese extraordinäre Open-Air-Ausstellung und besitzen eine Straßenzulassung. Zum i-Tüpfelchen des Zitronen-Konzepts gehört übrigens eine extra eingerichtete Lemons-VIP-Lounge. Wer dort hineinwill, hat allerdings mit Zitronen gehandelt: Sie ist so exklusiv, dass sie überhaupt niemand betreten darf – ein extra engagierter Türsteher achtet penibel darauf… Roland Löwisch
www.24hoursoflemons.com