Breuil-Cervinia im Frühsommer ist eine ziemlich trostlose Veranstaltung. In Winter gilt das italienische Bergdorf auf der Rückseite von Matterhorn und Monte Rosa als Pisten-Paradies. Doch wenn der Schnee so langsam schmilzt, reduziert sich auch der Reiz. Weiter unten im Aosta-Tal gibt es wunderschöne Wanderwege, Hochweiden und Almen mit spektakulären Aussichten auf die umliegenden Viertausender. Doch jenseits von 2500 Metern bleibt nicht viel mehr als ein paar schmutzig-graue Eisflanken und schier endlose Schotterhalden. Kein Wunder, dass die meisten Lifte in diesen Tagen stillstehen und die große Gondel einem eher luftigen Fahrplan folgt.

Aber was die wenigen Wanderer abschreckt , kommt uns gerade recht. Denn wir brauchen weder eine Gondel noch Fußvolk. Schließlich wollen wir mit dem Auto nach oben. Nicht mit irgend einen Auto, sondern mit SAM The Van, einem neuen Abenteuer-Ausbau auf Basis des Mercedes Sprinter. Und nicht auf irgendeinen Berg. Sonden hinauf zum Rifugio Teodulo, das quasi in der Kniekehle des Matterhorns liegt und gemeinhin als der höchste in Europa mit dem Auto erreichbare Punkt gilt. Wenn man das richtige Auto hat und den Segen von Lucio , der unten im Tal den Zivilschutz koordiniert und oben für den Alpenverein die ganzjährig geöffnete Hütte bewirtschaftet.
Eigentlich wollten Maria Bauer und Ingo Scheinhütte nur einen Ersatz für ihren altem Defender, weil es darin mit den beiden großen Hunden mittlerweile arg eng wurde beim Campen. Doch je länger die Architektin und der Porsche-Designer gesucht haben, desto größer war ihre Enttäuschung. „Und weil wir das richtige Auto für uns einfach nicht finden konnten, haben wir es dann eben selbst gebaut,“ sagt Bauer.

Die Entscheidung ist jetzt fünf Jahre her, seit dem letzten Frühjahr ist ihr Auto fertig. Aber an Urlaub war seitdem noch nicht zu denken. Denn schnell war den beiden klar, dass sie damit einen Nerv getroffen haben. Statt Koffer zu packen und Karten zu studieren, hat Maria eine Firma gegründet, Lieferanten und Werkstätten gesucht und alles Geld in das Abenteuer gesteckt, ein Abenteuermobil zu bauen und zu vermarkten. Anfangs fünf, später zehn Autos pro Jahr will sie bauen und für Preise ab 265 000 Euro verkaufen.
Deshalb sitzt sie jetzt am Fuß der Alpen auf einem unwegsamen Hochplateau in der Essecke eines umgebauten Mercedes Sprinter und macht eine einladend Geste: „Herzlich willkommen in SAM.“ Das ist nicht nur ein Name, weil jedes ihrer Autos bislang einen Namen hatte. Sondern SAM steht auch für Sustainable Adventure Mobility und umreißt den Anspruch der beiden. Denn einerseits soll SAM die Menschen auf der Flucht vor der Zivilisation weiter bringen als bis zum nächsten Campingplatz. Und anderseits wollen die Macher die Natur bewahren, in der SAM dann zum Stehen kommt. Oder sie zumindest möglichst wenig schädigen. „Als Architekten und Designer hatten wir hohe Ansprüche an die Ausstattung und zugleich wollten wir ein nachhaltiges Konzept“, sagt Bauer, „also guten Geschmack und ein gutes Gewissen.“
Für ersteres stehen Echtholzmöbel, die eher nach Designerhotel aussehen als nach Berghütte, dänische Edel-Armaturen in der Kochzeile und über dem handgemachten Kupferwaschbecken, das gemütliche „Doppelzimmer“ quer im Heck der Kabine oder die digitale Grundausstattung für die Steuerung der Haustechnik. Und für die Nachhaltigkeit die Materialauswahl: „Isoliert haben wir Sam zum Beispiel mit Zöpfen und Platten aus Schafswolle, die kompletten Wände, sowie die Decken und Böden sind von innen mit Sprühkork beschichtet, statt auf Plastik läuft man bei uns auf Korkparkett, die Schränke sind aus Echtholz gebaut und das Waschbecken zum Beispiel aus Kupfer statt aus Kunststoff.“ Und all das lässt sich Maria nicht von irgendwo auf der Welt schicken, sondern achtet auf kurze Transportwege, kauft soweit möglich bei lokalen Produzenten ein und hat sich Werkstattpartner im direkten Umfeld gesucht. Selbst die Lebenshilfe ist an Bord und liefert ihr einzelne Teile zu.

Während Bauer und Scheinhütte das Konzept entwickelt und die Kabine gestaltet haben, macht Michael Iglhaut dem Van fit fürs Abenteuer. Er ist Mercedes Händler aus Marktbreit und rüstet die Transporter der Schwaben seit jetzt genau 40 Jahren für schweres Gelände um. Ursprünglich hat er Busse für Berghotels gebaut und Handwerker, Energieversorger oder die Stadtwerke für ihre Arbeit in unwegsamen Gelände gerüstet. Doch immer öfter melden sich bei ihm auch Privatkunden, die ihre Camper aufrüsten wollen, erzählt der Franke, der so zum offiziellen Partner von SAM the Van wurde.
Zu Preisen, die auch ohne das Basisfahrzeug schon mal 90 000 Euro erreichen können, bietet er ihnen die Wildnis in drei Stufen. Die einfachste bringt ein bisschen mehr Bodenfreiheit und grobe Reifen, bei der zweiten kommt dann der Allradantrieb mit Untersetzung dazu und wer wie Maria das volle Paket bestellt, hat auch noch drei Sperren und alle gefährdeten Teile am Unterboden sind mit einer massiven Verkleidung geschützt. „Solange auch nur ein Rad Traktion hat, fährt ein Iglhaut-Sprinter einfach weiter“, sagt der Firmenchef und vergleicht seine Autos allenfalls noch mit der Mercedes G-Klasse.
Weil SAM so bisweilen die Grenzen der Zivilisation hinter sich lässt, haben Bauer und Scheinhütte ihn für Urlaub „off grid“ ertüchtigt und ihn autark gemacht von Versorgungsanschlüssen: Es gibt eine Wasserrecyclinganlage mit Umkehrosmosefilter, die aus 100 Liter Frischwasser effektiv 1000 macht. Auf dem Dach ist standardmäßig ein Solarmodul mit 190 Wh installiert, das auf 380 Wh erweitert werden kann. „Und unserer Hunde zuliebe gibt es eine entsprechend große Pufferbatterie mit bis zu 330 Ampere, mit der die Klimaanlage auch ohne Landstromanschluss einen Tag lang durchlaufen kann“, sagt Bauer.

Dass die Macher den Mund dabei nicht zu voll gewonnen haben, hat SAM auf unserer Tour zum Rifugio Teodulo bewiesen. Die Versorgungswege bis zur Mittelstation der Gondel hätte vielleicht auch noch ein normaler Allradsprinter geschafft hätte, wie ihn Mercedes erst seit ein paar Jahren selbst anbietet. Doch spätestens ab dem eisblauen Schmelzwassersee Lago Cime Bianche wird es knifflig, aus dem Bergweg wird ein breiter Wanderpfad, der sich nach zwei, drei Kehren im groben Schotter verliert.
Auch wenn der unten im Tal noch so flotte Zweiliter-Diesel mit seinen 170 PS und 400 Nm hier oben ordentlich rödeln muss und von Sprinter nicht mehr die Rede sein kann, beweist SAM so viel Vorwärtsdrang wie eine Bergziege. Und genauso stoisch und stur stapft er die Steigung hinauf, selbst wenn die Luft auch für den Diesel jenseits der 3 000 Meter so langsam dünn wird und dem Fahrer schon beim Ausblick der Atem stockt. Und erst recht bei der Aussicht, auf den Weg, der sich nach jeder Kurve noch steiler den Berg hinauf zu winden scheint. Doch pünktlich zur Kaffeezeit nimmt SAM die letzte Serpentine und statt karger Selbstversorgung aus der Küchenzeile gibt’s bei Hüttenwirt Luciano Cappucino und Crostatta vom Feinsten.
Zwar sind Bauer und Scheinhütte schon froh, dass sie mit SAM den guten Geschmack und das gute Gewissen vereint haben. Doch wissen die beiden auch, dass es auf Dauer mit kurzen Wegen und nachhaltige Rohstoffen nicht getan ist und auch nicht mit zwei Solar Modulen auf dem Dach. „Sondern über kurz oder lang werden wir auch über elektrische Varianten nachdenken müssen,“ sagt Bauer.
Aber das muss mich warten. Denn nach drei turbulenten Jahren steht jetzt endlich mal Urlaub an. Dafür schließlich haben sie SAM ja ursprünglich gebaut.